Einfach weglassen: So funktioniert zementfreies Bauen

Polycare
6 min readSep 23, 2024

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Warum das Polycare Team davon überzeugt ist, dass Zement nicht der richtige Weg zu klimaneutralem Bauen ist

Als Teil der Bauindustrie sind wir uns bei Polycare der massiven Verantwortung bewusst, die wir in Bezug auf den Klimawandel tragen. Bauen verursacht rund 40 % der globalen CO₂-Emissionen, und die entscheidende Frage ist: Wie können wir diese Emissionen drastisch reduzieren? Zement — insbesondere Portlandzement (OPC) — ist traditionell das Herzstück moderner Bauprozesse. Doch obwohl er ein robustes und langlebiges Baumaterial darstellt, ist er ein erheblicher Klimakiller. Wir sind daher davon überzeugt, dass Zement nicht der richtige Weg für eine nachhaltige Zukunft ist. Deshalb suchen wir nach Alternativen, die nicht nur besser für den Planeten sind, sondern auch langfristig nachhaltige Lösungen für die Baubranche bieten.

left: Dr. Gaone Koma (Head of Materials), right: Philipp Scherer (Head of Sustainability)

“Polycare hat die mutige Entscheidung getroffen komplett auf Zement zu verzichten. Das ist ein zentraler Bestandteil unserer Strategie, um das Unternehmen zukunftsfähig zu machen.” P. Scherer

Der Feind ist nicht der Beton, sondern der Zement

Zement wird weltweit in ungeheuren Mengen produziert und verbaut. Allein in Deutschland werden jedes Jahr ca. 35 Millionen Tonnen Zement produziert. Es gibt weiterhin wenig Gebäude, die ohne Zement auskommen. Es gibt gute Gründe, warum Zement seit so vielen Jahrzehnten das dominierende Baumaterial ist. Er ist robust, wirtschaftlich herzustellen und bietet hohe Festigkeit und schnelle Aushärtung. Außerdem ist der Produktionsprozess gut erforscht und skaliert, was ihn zu einer idealen Wahl für zahlreiche Bauprojekte macht.

Doch diese Vorteile überwiegen nicht die massiven negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Zement verursacht weltweit rund 7–8 % der CO₂-Emissionen. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, führt kein Weg daran vorbei, diese Emissionen massiv zu senken. Ein Großteil der Emissionen kommt aus der Herstellung des Klinkers — dem Hauptbestandteil des Zements. Dabei entstehen 65 % der Emissionen durch chemische Prozesse bei der Zersetzung von Kalkstein, während der Rest durch den immensen Energiebedarf des Produktionsprozesses (bis zu 1550°C) entsteht.

Das Thema Zement und die Ansätze zur Reduzierung seines Einflusses wurden ausführlich beim diesjährigen Future Cleantech Festival behandelt, das unter anderem von Future CleanTech Architects, UNIDO und dem European Innovation Council in Remscheid veranstaltet wurde. Weitere Einblicke finden Sie hier: Future Cleantech Festival. Wir sind immer gern bei den Panel-Diskussionen dabei und bringen unsere Ideen zur Lösung mit ein.

Die Polycare Vision: Ein Paradigmenwechsel statt nur Pflaster drauf

Viele Ansätze zielen darauf ab, den Zementprozess durch Technologien wie CCS&U (Carbon Capture, Storage and Utilization) zu optimieren. Diese Technologien fangen das bei der Produktion entstehende CO₂ auf, speichern es oder nutzen es anderweitig. Auf den ersten Blick mag das wie eine mögliche Lösung erscheinen, doch wir bei Polycare sind der Meinung, dass dies langfristig nicht tragfähig ist. Die CCS&U-Technologie ist teuer, energieintensiv und erfordert eine komplexe Infrastruktur, die in den meisten Ländern kaum vorhanden ist. Außerdem birgt die langfristige Speicherung von CO₂ große Unsicherheiten, und der Markt für Produkte, die das aufgefangene CO₂ verwenden könnten, ist sehr klein. Wir glauben, dass dies eher eine Übergangslösung ist, während die eigentliche Lösung anderswo liegt.

No-Brainer: Bauen ohne Zement

Bei Polycare haben wir uns entschlossen, einen neuen Weg zu gehen. Unser Ziel ist es, den Bedarf an Zement komplett zu eliminieren. Dafür setzen wir auf alternative Bindemittel wie Geopolymere und alkalisch aktivierte Materialien (AAM). Diese Materialien sind nicht nur leistungsstark, sondern bieten auch erhebliche ökologische Vorteile. Ein wesentlicher Bestandteil unserer Technologie ist der Einsatz von Nebenprodukten wie Schlacke und Flugasche, die in Kombination mit Natrium-Silikat (auch bekannt als Wasserglas) ein zukunftsweisendes Bindemittel bilden. Dieses System reduziert den CO₂-Ausstoß im Vergleich zu herkömmlichem Zement um bis zu 70 % — ein, wie wir finden, gewaltiger Schritt in die richtige Richtung.

Hier geht es zur EPD von SEMBLA®, die sich derzeit noch im Verifizierungsprozess befindet.

Die Leistungsfähigkeit unseres Geopolymerbetons

Unser Geopolymerbeton ist nicht nur umweltfreundlich, sondern überzeugt auch durch herausragende Leistungsmerkmale. Bereits nach 28 Tagen Aushärten (muss nicht gebrannt werden!) erreicht er eine Druckfestigkeit von über 80 MPa — mehr als genug für die meisten Bauanwendungen. Außerdem zeichnet er sich durch eine extrem hohe Langlebigkeit von über 100 Jahren und eine hervorragende Widerstandsfähigkeit gegen Hitze und chemische Einflüsse aus. Schaut euch doch mal das Pantheon in Rom an — das wurde von den alten Römern aus einem geopolymer-ähnlichen Material gebaut. Damit stellt Geopolymerbeton eine echte Alternative zu Zement dar, ohne Kompromisse bei Stabilität und Beständigkeit einzugehen.

Was ist Geopolymerbeton?

Sind die Flugaschen nicht endlich?

Eine berechtigte Frage, mit der wir des Öfteren konfrontiert werden. Mit dem absehbaren Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland wird künftig keine Flugasche mehr anfallen — eine Entwicklung, die wir als Cleantech-Unternehmen ausdrücklich begrüßen. Aus diesem Grund betrachten wir Flugasche- und Schlacken-basierte Geopolymerbetone als Übergangstechnologie. In der generellen Forschung arbeitet man an der Entwicklung anderer Materialinnovationen mit alternativen Puzzolanen wie calzinierten Tonen oder Eisensilikaten. Die Transformation der Stahlindustrie eröffnet zusätzliche Möglichkeiten, da zukünftig Schlacken mit veränderten chemischen Zusammensetzungen und reaktiveren Eigenschaften entstehen werden. Ein Beispiel dafür ist Hüttensand 2.0 aus wasserstoffbetriebenen Hochöfen oder amorphe Elektroofenschlacken, deren Eignung als Bindemittelkomponente im Geopolymerbeton bereits in verschiedenen Forschungskooperationen untersucht werden.

Herausforderungen und Chancen — Warum wir an Geopolymere glauben

Natürlich hören wir immer wieder skeptische Stimmen, die uns fragen: “Ist Geopolymer nicht nur ein Nischenprodukt?” Oder: “Sind Geopolymer schwerer in der Handhabung wie Zementbeton?“ Und ja — es stimmt, Geopolymer erfordert Präzision und Fachkenntnis. Es ist kein Produkt, das man einfach “nach Gefühl” mischt.

Wir bei Polycare sehen diese Herausforderungen nicht als Hindernisse, sondern als Chance. Wir haben bereits gezeigt, dass Geopolymere weit mehr sind als nur ein Nischenprodukt. Unsere Lösungen kommen heute nicht nur im Tiefbau zum Einsatz — bisher die einzige Anwendung von Geopolymerbeton –, sondern auch im Hochbau. Das Ganze gelingt mit minimalem Materialeinsatz, ohne die Leistungsfähigkeit unserer Bauwerke zu beeinträchtigen. Das zeigt: Geopolymer ist bereit, den Sprung in den breiten Markt zu schaffen.

SEMBLA® — Geopolymerbeton-Hohlblocksteinsystem für den Massivbau, ermöglicht durch nur 12,5 mm Wandstärke erhebliche Materialeinsparungen.

Kreislaufwirtschaft: Ein fundamentales Prinzip

Bei Polycare geht es uns nicht nur darum, ein besseres Material zu entwickeln. Ein weiterer zentraler Aspekt unserer Arbeit bei Polycare ist die Kreislaufwirtschaft. Wir sind der festen Überzeugung, dass nachhaltiges Bauen auch bedeutet, den Lebenszyklus von Gebäuden zu verlängern und Ressourcen effizient zu nutzen. Unsere Bauelemente sind so konzipiert, dass sie wiederverwendbar und rückbaubar sind. Ziel ist es, den Materialverbrauch zu minimieren und die Wiederverwendung zu maximieren. Indem wir diesen Ansatz verfolgen, schaffen wir nicht nur umweltfreundlichere Gebäude, sondern auch wirtschaftlich nachhaltige Baukonzepte, die Ressourcen schonen und die Umweltbelastung verringern.

Um die Klimaziele zu erreichen, reicht es nicht aus, nur bestehende Baustoffe zu re- oder downcyclen. Wir wollen regenerative Baupraktiken, wie maximale Wiederverwendung auf Bauteilebene vorantreiben. Das ist auch zu marktgerechten Preisen möglich.

Die Rolle der Bauindustrie im Kampf gegen den Klimawandel

Wir bei Polycare sind davon überzeugt, dass die Bauindustrie eine Schlüsselrolle bei der Lösung der Klimakrise spielt. Es reicht nicht, lediglich bestehende Prozesse ein wenig zu verbessern oder auf Kompensationsmechanismen zu setzen. Der Weg zur Klimaneutralität erfordert tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise, wie wir bauen, von den verwendeten Materialien bis hin zu den Lebenszyklen der Gebäude. Polycare steht an der Spitze dieser Revolution und zeigt, dass es möglich ist, ohne Zement zu bauen, ohne dabei Kompromisse bei Qualität, Stabilität oder Langlebigkeit einzugehen.

Fazit: Die Zukunft des Bauens ist zementfrei

Die Baubranche hat die Chance, einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise zu leisten. Der Weg zu einer nachhaltigen Zukunft liegt nicht darin, den Zementprozess „sauberer“ zu machen, sondern ihn ganz zu umgehen und auf wirklich klimaneutrale Materialien zu setzen — das ist der Kern unserer Arbeit bei Polycare. Heute stehen bereits bessere, nachhaltigere Alternativen zur Verfügung. Unsere Geopolymere und zementfreien Bauelemente sind erst der Anfang. Die Zukunft des Bauens ist zementfrei, und wir bei Polycare sind stolz darauf, diesen Wandel voranzutreiben.

Bist du bereit, Teil dieser Veränderung zu werden — als Partner, Investor oder Visionär? Lass uns gemeinsam die Baubranche neu denken!

#Zementfrei

Autoren:

Philipp Scherer, Head of Sustainability bei Polycare, LinkedIn
Isabel Faller, Head of Strategic Partnerships bei Polycare, LinkedIn

Quellen und interessante Links

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Polycare

To drive empowerment and circular economy, Polycare develops innovative construction technologies, that make sustainable habitats affordable.